Eine nicht ganz alltägliche Flüchtlingshilfe

Insbesondere Sprachkurse und Hilfe bei Behördengängen oder dem Ausfüllen von Formularen gehören schon zum Standardrepertoire von Flüchtlingshelfern in Deutschland. Dennoch gibt es auch hier keine Normvorgabe, keine klaren Richtlinien, so dass jeder einzelne Helfer nach einem eigenen Konzept vorgeht. Ein engagierter Mitbürger, Herr Dr. De Clercq, der uns hier im Leiningerland bei der Integration von Flüchtlingen unterstützt, hat zum Jahreswechsel 2015/2016 einen Kurs „Sprachkompetenz und deutsche Werte“ angeboten, um Neuankömmlingen schnellstmöglich die nötigen Fähigkeiten zu vermitteln, damit sich bei uns integrieren können. Sein Vorhaben wurde von der Commerzbank, dem Wirtschaftsministerium in Mainz, der IHK, der Handwerkskammer, der Pfarrgemeinde und mehreren Privatpersonen unterstützt. – Dafür vielen Dank.

Herr Dr. De Clercq hat den Kurs mit täglichen Berichten dokumentiert, die Ihnen einen wunderbaren Einblick geben können, wie der Kurs abgelaufen ist und ein lebendiges Bild von der Flüchtlingshilfe vor Ort zeigen. Wir werden diese Berichte in den nächsten Wochen hier sukzessive veröffentlichen und hoffen auf eine interessierte Leserschaft. Viel Vergnügen!

2. Dezember 2015,Tag 0: Es geht los

Morgen ist es so weit. Ich überlegte, Flüchtlingen einen Einführungskurs Deutsch zu geben.
Als ich in den letzten Wochen jemandem diesen Gedanken mitgeteilt habe, war immer die Reaktion, mehr oder weniger direkt und/oder höflich: Du? Du kannst doch selber kein Deutsch ohne Akzent sprechen, um von Akkusativ/Dativ ganz zu schweigen.

Es stimmt, die haben Recht.

Nur, wenn ich Tag für Tag die Menschenströme gesehen habe, wie viele Menschen sich weit über das normale Maß hinaus engagiert haben oder wie Polizei und Hilfskräfte im Einsatz waren, war ich sehr beeindruckt. Und ich fand auch, dass Merkel übertrieben hat. Ich konnte das ohne weiteres finden – ich bin ja kein Bundeskanzler, sonst wäre ich es gewesen, der übertreibt.

Wohin mit diesen Menschen, wie wird es werden und alle sollen integriert werden?

Da habe ich sofort verstanden: Deutsch reden zu können ist eine absolute Notwendigkeit für eine gelungene Integration, für Arbeit, nachbarschaftliche Beziehungen usw. usw.

Kann ich da einen Beitrag leisten? Eigentlich nicht. Ich rede Deutsch mit einem flämisch-niederländischen Akzent. Und natürlich rutscht mir immer wieder mal ein Akkusativ und Dativ durcheinander und und und. Ich bin eben ein Ausländer.

Gleichzeitig dachte ich, die Flüchtlinge sind auch alle Ausländer. Diejenigen, die älter als 30 sind, werden nie ohne Akzent Deutsch reden können, weil Erwachsene die Fähigkeit, das Gehörte mit Worten tongleich wiederzugeben, verlieren. Kinder können das perfekt. Und wer hört schon den Unterschied zwischen Deutsch mit syrischem und Deutsch mit syrisch-flämischem Akzent? Und bevor die Flüchtlinge ein Problem mit Akkusativ und Dativ haben, ist die Integration schon längst gelungen.

Ich fragte mich, was ist gut für dieses Land und für diese Menschen. Meine Antwort lautet: In dieser Situation ist ein (1) Deutschvermittler mit Akzent und schwachem Akkusativ besser als ein Deutschvermittler weniger – die Not ist ja groß.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, und machte mich an die Arbeit. Nach etwa 100 Stunden suchen – schreiben – korrigieren hatte ich Unterlagen für einen halben Kurs zusammen.

Ich wollte, dass diese Menschen schnell Deutsch lernen. Also biete ich einen 6 wöchigen Kurs, 4 Tage die Woche von 9 – 12 Uhr, an. Die Flüchtlingshelfer, denen ich begegnete, meinten, dies wäre ziemlich intensiv. Das würden die Flüchtlinge nicht packen!
Mag sein. Nur, unausgesprochen will ich natürlich auch vermitteln, dass dieses Land ein Land von fleißigen Menschen ist. Diese Wahrheit sollte zusammen mit anderen Werten (wie Pünktlichkeit usw.) immer im Raum schweben. Mal gucken, wie richtig ich die Lage eingeschätzt habe.

Ich habe bei der Vorbereitung viele Menschen um Hilfe gebeten. Ich wollte einen Raum, Kugelschreiber, kopierte Unterlagen, Broschüren usw. Das war wirklich schön: Alle haben mir umgehend weit über das Gefragte hinaus geholfen. Ich fühlte mich reich beschenkt, eine Energie, die ich zusammen mit meiner Energie weiter geben werde.

Morgen geht es los. Noch liegt mein Boot auf der einen Seite des Ufers, das Boot der Flüchtlinge auf der anderen. Mal gucken, wo sich unser Zweigespann zusammen gefunden haben wird, wenn wir unten an der Mündung angekommen sind.

Ich habe Bammel.

Ein Gedanke zu “Eine nicht ganz alltägliche Flüchtlingshilfe

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